Die Sucht
Wenn wir die drei Grundemotionen der Mental-Therapie zu Grunde legen, dann steht die Angst für eine „Bedrohung“, die Wut für eine Ungerechtigkeit und die Niedergeschlagenheit für eine Enttäuschung. Jeweils aufgestaut über viele Jahr
Eine Bezugsperson kann also „bedrohen“, z. B. mit einer Strafe, sie kann sich ungerecht verhalten, z. B. in dem sie ein Geschwister bevorzugt oder sie kann eine Strafe vollziehen und damit enttäuschen. Es gibt aber noch eine vierte Möglichkeit wie eine Bezugsperson sich negativ verhalten kann, d. h. es gibt noch ein viertes großes Trauma
Das vierte große Trauma ist die Ignorierung des Kindes, auch „Liebesentzug“. genannt. Eine Bezugsperson kann sich also, wenn ihr ein Verhalten mißfällt, „abwenden“ und das Kind ignorieren. Die Bezugsperson straft also mit „Liebesentzug“. Der Liebesentzug ist im Alltagsleben sehr effektiv, weil das Kind von der Fürsorge der Bezugsperson „abhängig“ ist. Dieser Liebesentzug wird dann mit der vierten großen Emotion, der „Sucht“, dargestellt.
Das Trauma der Sucht
Den Entzug von „Liebe“ mit einer Sucht darzustellen, ist nachliegendend. Das Kind verzehrt sich nach Aufmerksamkeit und Fürsorge und hält den Zustand nicht mehr aus, bis es den Kontakt zur Bezugsperson (Suchtstoff) wieder herstellt. Dennoch ist die Entziehung der Liebe nicht das eigentliche Trauma der Sucht.
Wenn ein Kind ein, zwei Stunden ohne Betreuung und „Liebe“ leben muß, ist das ja noch nicht so schlimm. Das Schlimme ist, daß das Kind diesen Zustand nicht für die Ewigkeit aufrechterhalten kann. Es ist nur eine Frage der Zeit bis das Kind irgendetwas von der Bezugsperson will. Das Kind ist also vom Wohlwollen der Bezugsperson „abhängig“. Es ist also nicht der Entzug, sondern die „Abhängigkeit“ , die vom Mental-System durch die Sucht symbolisch dargestellt wird.
Ganz allgemein gesprochen, steht das Mental-System vor der Aufgabe den Traumata des Kindes passende Emotionen zuzuordnen. Emotionen, die die Traumata symbolisch darstellen und dann im Erwachsenenalter auch somatisiert werden, um den Patienten Hinweise zu geben, wo das Problem liegt. Die Abhängigkeit des Kindes mit einer Sucht darzustellen, bietet sich also an.
Das Dilemma der Sucht
Bei der Sucht wird das Trauma der Abhängigkeit durch die Aktivierung der Emotion „Sucht“ symbolisch dargestellt. Da jeder Mensch von der Fürsorge der Eltern abhängig ist, kann sich, wenn diese natürliche „Abhängigkeitssituation“ ausgenutzt wird, später eine Sucht entwickeln. Der Entzug der Liebe entspricht dem Entzug des Suchtstoffs und die Wiederherstellung des Kontaktes ist dann die Befriedigung der Sucht.
Die Sucht stellt also ein klassisches Dilemma dar. Bleibt der Patient dem Suchtstoff (Bezugsperson) fern, dann geht es ihm schlecht. Man ist einsam, verlassen und traurig. Gibt die Person der Sucht nach, ist man zufrieden und glücklich, allerdings beginnen dann neue Probleme. Der Suchtstoff hat negative Auswirkungen. Wenn sie Alkohol trinken, können sie irgendwann nicht mehr arbeiten gehen. Wenn sie spielen, haben sie irgendwann kein Geld für Essen mehr usw.
Mit den negativen Konsequenzen des Suchtstoffs soll ausgedrückt werden, daß die Bezugsperson den Kontakt nicht ohne Bedingungen wieder hergestellt hat. Entweder muß man dann nachträglich das machen, was man ein paar Stunden zuvor verweigert hat oder die Bezugsperson nutzt die Abhängigkeitssituation um Dampf abzulassen.
In härteren Situationen kann die Bezugsperson auch sehr hohen Bedingungen stellen, um den Kontakt wiederherzustellen, d. h. der Preis für den Kontakt ist sehr hoch, bis hin zur „Unmöglichkeit“. Ein Beispiel für Unmöglichkeit wäre zum Beispiel, wenn ein Spielsüchtiger bereits kein Geld mehr hat, aber dennoch einen Spieltrieb hat. Dann muß er erst seine Bekannten und Verwandten betrügen und dann kriminell werden.
Eine vierte Grundemotion?
Da die Sucht neben der Angst, der Niedergeschlagenheit und der Wut eine der großen Krankheitsbilder der Mental-Therapie ist, könnte man an dieser Stelle die Hypothese aufstellen, daß die Sucht eine eigene Grundemotion ist.
Es gäbe dann nicht 3 Grundemotionen (Angst, Niedergeschlagenheit und Wut), sondern 4. Die vierte Grundemotion wäre dann der Entzug. Das Krankheitsbild wäre die Sucht und das Trauma wäre die Abhängigkeit.
Ich persönlich bleibe aber bei 3 Grundemotionen. Die Begründung folgt in Aktualisierung 2.
Die Mentalsätze bei Sucht
Das Trauma der Sucht besteht also aus zwei Teilen. Eine Ebene vor der Befriedigung der Sucht und eine Ebene nach der Befriedigung.
Vor der Befriedigung „verzehren sie sich nach dem Suchtstoff“:
Meine Niedergeschlagenheit, wenn der Suchtstoff fehlt, meine Bedrücktheit, mein Unwohlsein, meine Unausgeglichenheit, meine Rastlosigkeit, mein Kummer, meine Einsamkeit, meine Traurigkeit, wenn es keinen Suchtstoff gibt.
Mein Verzehren nach dem Suchtstoff, mein Verlangen, meine Fixierung auf den Suchtstoff, meine Abhängigkeit, meine Gier. Ich kann an nichts anderes denken, es ist mir alles egal, ich muß meine Sucht befriedigen.
Mit dem Verzehren nach dem Suchtstoff wird nicht das Verlangen nach der „Liebe“ der Bezugsperson dargestellt, sondern die „Abhängigkeit“ von der Bezugsperson.
Meine Abhängigkeit von dem Suchtstoff (Bezugsperson). Ich bin abhängig, ich bin angewiesen, ich bin ausgeliefert, ich bin verdammt. Ich habe keine andere Wahl, ich habe keine andere Möglichkeit. Es gibt keine Alternative. Ich muß den Suchtstoff konsumieren, koste es, was es wolle. Ohne Suchtstoff (Bezugsperson) bin ich nicht überlebensfähig.
Nach der Befriedigung leiden sie an den negativen Folgen der Befriedigung. Da sie vom Suchtstoff „abhängig“ sind und den Suchtstoff nutzen müssen, ob sie wollen oder nicht, müssen sie auch jedwede negative Konsequenzen, die mit der Nutzung des Suchtstoffes einhergeht, akzeptieren. Die Emotion wäre dann in der Regel „Kummer“ oder „Sorge“.
Bei Alkohol wäre es: Mein Kummer, daß ich mich jeden Tag besaufe, mein Kummer, daß ich jeden Tag besoffen bin, mein Kummer, daß ich alle negativen Emotionen ertränke, nicht ansprechbar bin, mein Kummer, daß ich den ganzen Tag verpenne.
Meine Sorge, daß man mir meine Trunkenheit ansieht, meine Sorge, daß Gerüchte entstehen, meine Sorge, daß ich meinen Job verliere, meine Sorge, daß mein Partner mich verläßt, meine Sorge, daß ich kein Geld mehr habe für andere Sachen, meine Sorge, daß meine Mitmenschen mich auslachen.
Ich fühle mich schuldig, ich fühle mich schlecht, ich fühle mich schwach, ich habe versagt, ich habe gesündigt.
Bei Essen: Meine Sorge, daß ich unansehnlich bin, unattraktiv bin, häßlich bin, nicht akzeptiert werde. Meine Sorge, daß blöde Sprüche kommen, daß ich abgelehnt werde. Meine Sorge, daß die Mitmenschen sich den Mund zerreißen, daß ich für meinen Partner nicht attraktiv bin, als schwach und nicht leistungsbereit gelte. Mein Kummer, weil ich mich selber nicht mag, mich selber häßlich finde, mich selber ablehne.
Meine Sorge, daß ich körperlich nicht belastbar bin, typische Belastungserscheinungen bekommen, krank werde. Meine Sorge, daß das Leben qualvoll wird, ich mich über mein eigenes Verhalten ärgere, traurig bin, an nichts anderes mehr denken kann.
Spielen und Einkaufen: Bei Spielen und Einkaufen ist es die Abhängigkeit vom Geld. Wer viel spielt oder einkauft, hat kein Geld mehr für andere Sachen. Die Abhängigkeit von den negativen Auswirkungen kann also sehr stark werden.
Meine Sorge/Kummer kein Geld mehr zu haben, meine Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können, kein Strom mehr zu haben, mein Leben nicht mehr leben zu können.
Meine Sorge, daß die Partnerschaft kaputt geht, weil ich das gesamte Geld ausgebe. Meine Sorge, daß ich Freunde und Verwandte anpumpen muß, meine Sorge, daß ich das Geld nicht zurückzahlen kann, meine Sorge für immer verschuldet zu sein.
Meine Sorge, meine Freunde anlügen zu müssen, betrügen zu müssen, meine Sorge, daß ich kriminell werde. Meine Sorge, daß ich diese unerträgliche Sucht eines Tages nicht mehr befriedigen kann.
Die Ereignis-Ebene bei Sucht
Wenn sie sich an die Ereignis-Ebene erinnern können, müssen sie auch die Ereignisse segmentieren. Gab es Situationen, in denen die Bezugspersonen die „Abhängigkeitssituation“ ausgenutzt haben, um Ziele durchzusetzen? Was haben sie empfunden und welche negativen Konsequenzen gab es?
Beispiele wären: Der Entzug von Liebe, Aufmerksamkeit, Fürsorge. Das Verweigern von Betreuung, das Ignorieren, das Abwenden. Da man sich an solche Situationen nur selten erinnern kann, können sie eine Situation auch „konstruieren“ und dann einfach blind betippen, unabhängig davon, ob sie wirklich existiert hat.